Exploration du flux

Ausgehend von dem in großen Reden so oft und oft auch missbräuchlich verwendeten Begriff „Zustrom“ untersucht Marina Skalova jenen Überschwang, der Europa dazu gebracht hat, seine Asylpolitik und damit auch sich selbst aufzugeben – jenes Europa, das eigentlich auf der Idee des „Nie wieder“ beruht. Migrationsströme, Finanzströme, Körperströme, Meeresströme – sie alle sind in der gleichen Bewegung vereint: ein Strom, der uns überwältigt und in dem wir vielleicht eines Tages ertrinken werden.

Es ist schwierig, festen Boden unter den Füßen zu gewinnen. Man sucht nach Wörtern, an denen man sich festhalten kann. Aber Wörter sind keine Bojen.

Doch die Worte dieses Buches rütteln uns wach und erinnern uns daran, dass wir Tag für Tag oft gegen unseren Willen zu Komplizen werden. Manchmal ist das die Aufgabe der Literatur: uns wachzurütteln.

»Unser Körper, er braucht das Elend der anderen nicht, er leidet schon genug Mangel: Eisenmangel, Zinkmangel, Mineral- und Liebesmangel, den Krieg der anderen braucht er nicht, er hat schon rote und weiße Blutkörperchen, die sich in seinem Inneren bekriegen wie die Weiße und Rote Armee während der Russischen Revolution.«

Seuil
Erscheinungsdatum: 05.04.2018
80 Seiten
EAN 9782021394016

Auszüge auf Deutsch

Übersetzung von Stephan Bader, im Literarischen Monat erschienen
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Auszug aus dem Französischen, Übersetzung von Lydia Dimitrow

Auszug aus dem Französischen, Übersetzung von Christoph Roeber

Die Übersetzungen von Lydia Dmitrow und Christoph Roeber wurden anlässlich der Übersetzerschlacht während des festivals Aller/Retour (Olten, Schweiz) vorgestellt

Pressestimmen

»‚Schreien‘ ist fast ein Anagramm von ‚Schreiben‘. Hier setzt Marina Skalovas Buch an.«
Eleonore Sulser – Le Temps
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»‚Scrollen‘, ‚liken‘, ‚teilen‘. Diese drei Wörter sind aus der digitalen Neusprache hervorgegangen und zur Alltagssprache für die Nutzer sozialer Netzwerke geworden. Jeden Tag werden wir mit Informationsströmen und unsortierten Bildern konfrontiert, die den Schiffbruch von Geflüchteten auf See auf die gleiche Stufe stellen wie die Taufe des jüngsten Kindes. Die Schriftstellerin und Übersetzerin Marina Skalova greift den Begriff der „Ströme“ auf, der von den großen globalen Debatten vereinnahmt wurde, und zeigt, wie Europa seine Asylpolitik aufgegeben hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man gesagt: „Nie wieder“: „nie wieder diese zusammengepferchten Menschenmassen, der Stacheldraht, die Lager und Züge“. Unter dem Deckmantel der Personenfreizügigkeit, des freien Waren- und Kapitalverkehrs ist Europa zu einer Festung mit unsichtbaren Mauern geworden, die Geld hineinlässt, Menschen in Not aber abweist. Die Worte treffen, sie rütteln auf. Im Laufe der Seiten werden sie knapper und versiegen, so als würden sie von der Ohnmacht überwältigt, und so lassen sie Raum für die Leere und das Verschwinden. Ein Schlag in den Magen.«
Sophie Joubert – L’Humanité

»In einer offenen, klaren und flüssigen Prosa, deren täuschend naiver Ton alle möglichen Fragen zulässt, verknüpft die Autorin Migrationsströme, Körperströme, Informationsströme, Finanzströme und Meeresströme. Mit dieser grenzüberschreitenden Geste konfrontiert sie uns auf sehr subtile Weise mit unseren Widersprüchen, indem sie Brücken zwischen dem Körper und dem Politischen schlägt. […] Was bleibt von diesen Worten? Eine einfache Spur, ein Versuch, etwas zu sagen, bevor einem die Wellen das Wort abschneiden. So lautet die bescheidene Schlussfolgerung dieses großartigen kleinen Buches.«
Anne Pitteloud – Le Courrier

»Ein mächtiger Text, musikalisch und rhythmisch wie die Polyfonie eines besorgten klaren Gedankens angesichts der entstehenden Festung Europa. Meinungen prallen aufeinander und werden in einer Sprache durcheinandergewirbelt, die Migrations-, Finanz-, Daten-, Meeres- und Körperströme ineinander fliessen lässt. Ein Text, der, indem er sich über Wasser hält, selbst zu einem Strom wird, während die Bedeutung über die Wörter gleitet. Vor allem liest man darin die Angst, dass sich die dunkelsten Stunden in der europäischen Geschichte wiederholen könnten.«
Thierry Raboud – La Liberté
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»Die Energie, die sich in dieser heilsamen Erzählung von Marina Skalova entfaltet, fängt alle Widersprüche ein, die wir erleben, wenn wir von Mitgefühl zu Müdigkeit übergehen und umgekehrt; in diesem Gegensatz zwischen jenen, die an der Macht sind, aber sagen, dass sie nichts tun können, und jenen, die schutz- und machtlos sind, aber die Energie haben, alles tun zu wollen. […] Zeugnis ablegen, etwas sagen, anprangern, analysieren, einen Sinn finden und die Möglichkeit, etwas zu tun – kurz bevor man auf den weißen Seiten verschwindet, die man nicht mehr füllen kann, weil alles gesagt und wiederholt wurde, endlos wiederholt …«
Martin Rass – Diacritik
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»Ausgehend von einer etymologischen Beobachtung scheint dieser Text seine Kraft aus der Wut und vor allem aus der Bestürzung über die Situation zu schöpfen. Die Energie der Autorin, mit Worten allein gegen die humanistische Unaufrichtigkeit Europas in den Kampf zu ziehen, hat etwas Magisches. Bei der Lektüre spürt man die Grausamkeit jener Niedergeschlagenheit, die alles zum Stillstand bringen kann.«
Adrien Meignan – Addict-culture
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»Dieses Buch enthält den Strom. Ein Text von maximaler Spannung durch die Beobachtung der Geflüchteten, dann der Sprache (oder der Sprache, dann der Geflüchteten; denn dieser Text wirbelt wie eine verrückte Maschine um seinen Leser). Mindestens zwei Ströme im Blickwinkel: jener der Menschen und der Informationen. Die Buchform, die diesen Wirbel einfasst, ist eine neue Zündung für diesen phänomenalen Text, der so unglaublich belebt, agierend und agitierend ist.«
Guenaël Boutouillet – Remue.net